„Be a part of the scene, not just the scenery!”
DIY in der Kulturkneipe Sabot

„Be a part of the scene, not just the scenery!”
DIY in der Kulturkneipe Sabot

Von 2010 bis 2020 betrieb der Verein Sabot eine gleichnamige Kulturkneipe seitlich der Dotzheimer Straße. Dort fanden Konzerte, Lesungen, Workshops und vieles mehr statt. Es war ein Raum, der nach dem Do-It-Yourself-Prinzip selbstverwaltet war. Was machte das Sabot zu einer besonderen Nische im Westend? Wie ticken die Akteur:innen hinter der Kneipe? Und wie blickt die Wissenschaft auf diese Form der urbanen Raumaneignung? Dieser Beitrag bietet einen Überblick.

Johannes Held

An einem „feucht-fröhlichen“[1] Abend im Jahr 2010 trafen sich im inneren Westend Wiesbadens ein knappes Dutzend Freundinnen und Freunde in einer Wohngemeinschaft. Alle waren aus verschiedenen Gründen, meistens für ihr Studium, nach Wiesbaden gezogen. Für die Freund:innen bot Wiesbadens Nachtleben schon ein ordentliches Programm, in der Kneipe Cooper konnte zünftig gefeiert werden und der Schlachthof hatte schon damals ein umfangreiches Repertoire an Kultur- und Konzertveranstaltungen im Angebot. Aber etwas fehlte. Nach dem Umzug in die hessische Landeshauptstadt stellten sie schnell fest, dass „von Anfang an hier in Wiesbaden so eine Leere“ herrschte. Aus anderen Städten kannte man das kulturelle Leben auch in anderer Form, die sich am besten unter dem Motto DIY, kurz für Do It Yourself, zusammenfassen lässt. Die Freund:innen kannten Einrichtungen wie beispielsweise das JUZ Mannheim, die Oettinger Villa in Darmstadt oder das Café Gegendruck in Heidelberg[2]. In diesen autonomen Einrichtungen wurde nach dem DIY-Prinzip geplant, organisiert und gefeiert, soll heißen, ohne kommerziellen Hintergrundgedanken und in eigener Verantwortung.
Eine solcher Raum fehlte 2010 in Wiesbaden. Und das war „der Anstoß einfach die Räumlichkeiten zu schaffen, die man nutzen kann, wie man möchte“. Doch wie sollte man während des Studiums oder der Ausbildung die teure Miete für einen geeigneten Raum zahlen? So kam die Idee „das doch mit so einer Kneipe“ zu finanzieren. Durch einen „lustigen Zufall“ konnten in einer „Blitzaktion“ direkt die benötigten Räumlichkeiten organisiert werden: Gegenüber der erwähnten Wohngemeinschaft befand sich eine leerstehende Kneipe, deren Vermieterin im Freundeskreis bekannt war – so wurde prompt ein Mietvertrag aufgesetzt und drei Tage später unterschrieben. Die Gruppe packte die „Gelegenheit beim Schopfe“. Als Trägerorgan wurde ein Verein gegründet, der Kulturverein Sabot e.V. Der Verein war dabei eher ein Mittel zum Zweck, um die gleichnamige Kneipe zu betreiben. Verein und Kneipe werden hier synonym als Sabot bezeichnet, da die Akteur:innen deckungsgleich sind und die Kneipe die physische Form des Vereins darstellt.
Was genau war nun im Westend entstanden? In einem Satz zusammengefasst: Das Sabot war eine urbane Nische, die einen Freiraum bot, in dem sich Menschen der DIY-Philosophie gemäß ausleben konnten. Die drei Leitbegriffe, urbane Nische, Freiraum und DIY werden in dieser Reihenfolge durch den Text führen. Zentrales Motiv ist dabei das Do-It-Yourself-Prinzip (DIY), das hier sowohl eine Form der Raumaneignung, als auch die Ethik einer Gemeinschaft aus Gleichgesinnten beschreibt. Wie sich DIY im Verhältnis zur urbanen Nische und zum Freiraum Sabot konkret äußert, wird im nachfolgenden Text durch ausgewählte Episoden aus Interviews mit Akteur:innen des Sabot anschaulich gemacht. Diese Episoden stammen überwiegend aus der späten Phase der zehnjährigen Geschichte des Sabot. Sie stehen stellvertretend für die gesamte Bestandsdauer der Kneipe im Westend. Der nachfolgende Text basiert auf diesen Interviews mit Vereinsmitgliedern des Kulturverein Sabot e.V. Darüber hinaus fließt meine eigene Erfahrung mit linksalternativer Subkultur in den Text ein. Geht es um das Verständnis von (Jugend-)Szenen, ist die persönliche Erfahrung natürlich nicht von vorrangiger Bedeutung. In diesem Fall bot sie mir allerdings die Möglichkeit, meine eigenen Ansichten über die Szene als Expertise in Gespräche einzubringen, zu reflektieren und damit zu einer Darstellung des Sabot zu gelangen, die auch die Vielstimmigkeit dieser Nische im Westend abbildet.
Das fängt schon bei der richtigen Einstimmung in den Text an: Begleitend zur Lektüre wird ein kühles Pilsner und die folgende musikalische Begleitung empfohlen. Alle genannten Bands sind bereits im Sabot aufgetreten.

Acidez (MEX): Don’t Ask For Permission
Distemper (RU): Bull Terrier
HC Baxxter (DE): Von Leerstellen und Leerstand
Moscow Death Brigade (RU): Never Walk Alone
Toxoplasma (DE): Leben Verboten

„Die Stadt gehört den Ratten“?[3] – Das Sabot als urbane Nische

In unserem Projekt tauchen immer wieder zwei Begriffe auf: die titelgebenden Hinterhöfe sowie „urbane Nischen“. Der Hinterhof ist dabei zum einen wortwörtlich als ein Raum zwischen Vorder- und Hinterhaus zu verstehen. Zum anderen werden in einem metaphorischen Sinne die Nischen im Stadtgefüge angesprochen (vgl. Roth 2021). Die Kulturkneipe Sabot war nicht in einem Hinterhof gelegen, teilte sich aber mit der Idee des Hinterhofs dessen Funktion als architektonische und kulturelle Nische: Eingezwängt zwischen zwei Wohnhäusern in der Zimmermannsstraße befand sich der unscheinbare Eingang zur Kneipe in einer zurückgesetzten Hausfassade. Nur zwei Leuchtschilder wiesen auf die Existenz einer Kneipe hin, es gab keine Außenbestuhlung oder Fenster. Das Publikum, das vom Sabot angesprochen wurde, war in erster Linie ein Nischenpublikum: Sehr heterogen, aber grob unter dem Überbegriff Punk zusammenzufassen. Zum Begriff und der Geschichte des Punk sei an dieser Stelle mit den Worten des Politikwissenschaftlers Kevin Dunn nur Folgendes gesagt: „Punk, like a flag or any other open symbol, is something many people feel passionate about, but have a hard time agreeing on shared meaning. The laziest scholarship on punk treats it as a unified, cohesive community” (Dunn 2016, 16). Ich komme später im Text auf den Begriff Punk im Zusammenhang mit DIY wieder zurück.
„Urbane Nische“ ist eine Beschreibung des Sabot, der auch Markus Pabst zustimmt. Markus ist erster Vorsitzende des Vereins und letztes verbliebenes Gründungsmitglied. Er ist 32 Jahre alt und als Gewerkschaftsfunktionär tätig. Zum Nischenbegriff sagt er: „Ja, das Sabot war eine urbane Nische. Also, das war im Endeffekt genau der Ort, den dieses Wort für mich beschreibt. Wirklich abseits von allem, was da draußen ist, irgendwie einen Freiraum zu haben. Und einen Platz zu haben. Das war’s eigentlich“ (Interview Markus 2020). „Nische“ meint in diesem Zusammenhang eine Form der Raumaneignung, bei der es nicht nur um die Besetzung und Gestaltung eines (physischen) Ortes geht, sondern auch um die Verwirklichung eines (ideellen) Freiraums an diesem Ort (vgl. Roth 2021). Akteur:innen dieser Nischenaneignung waren nicht nur die Vereinsmitglieder, sondern alle Besucher:innen, die sich mit dem Konzept des Sabot identifizierten. Im Hinblick auf seinen urbanen Kontext lässt sich das Sabot damit als ein „produzierter Raum“ im Sinne Henri Lefebvres (1974) verstehen, „der als semiotisch aufgeladener sozialer Handlungsraum subjektiv und situativ identitätsstiftend wirksam sein kann“ (Roth 2021; vgl. auch Lindner 2005; Hengartner 1999). Als sozialer Handlungsraum zielte das Sabot, wie Markus im obigen Zitat betont, vor allem darauf ab, einen Freiraum in der Stadt zu erschaffen.

Abb. 1: Die architektonische Nische des Sabot (Foto: Jonathan Roth)

„Street City Kids! Think for yourself“![4] – Die Nische und das Missverständnis.

Einblick in Nischen zu erhalten kann schwierig sein. Oft sind die Nischen von Wänden umgeben, die die Sicht blockieren. Das ist auch beim Sabot der Fall, das auf drei Seiten von Häuserwänden umgeben ist. Doch auch im übertragenen Sinne ist es schwierig, auf den ersten Blick einzuschätzen, was sich unter dem Kneipenschild und hinter der stählernen Eingangstür verbirgt. Das erfuhr auch Jannes, das mit 19 Jahren jüngste Mitglied des Sabot. Schon als Elfjähriger wohnte er in der Nachbarschaft und war noch zu jung, um die durchschnittlichen Angebote des Sabot wie Kneipenabende oder Konzerte wahrzunehmen. Eines Tages ging er mit einem Freund zusammen durchs Westend, der sich im Nachtleben des Viertels schon ein wenig auszukennen schien. Als die beiden am Sabot vorbeikamen, wies er auf das Werbeschild der Astra-Brauerei, das quer zur Zimmermannsstraße vor dem Eingang des Sabots angebracht war: „Ey, siehst du dieses Symbol?“. Die beiden starrten auf das große rote Herz mit dem schwarzen Anker in der Mitte. Als Logo einer Biermarke, die im Sabot vorwiegend verkauft wurde, konnten sie das Schild nicht identifizieren. Also konnte es nur eins bedeuten: „Da ist ein Puff drin!“ Ein Skandal im Viertel schien aufgedeckt. Doch es kam noch schlimmer: Als beide Jungs den Blick weiter über die Fassade schweifen ließen, entdeckte man auf eine Tür aufgesprüht einen Davidstern. Die logische Schlussfolgerung: „Ja, und über dem Puff, da ist auch eine Synagoge!“ (Interview Kaya&Jannes 2020).
Diese Kindheitserinnerung, von der Jannes lachend erzählt, führt das Nischendasein der Kulturkneipe Sabot anschaulich vor Augen. Der Blick von außen reicht nicht aus, um die Funktion dieser Nische zu beschreiben. Doch was ist die Funktion des Sabot? Hier muss man mit dem Begriff des Freiraums anfangen, der sich als Eigenbeschreibung des Sabot etabliert hat.

„This Town is coming like a Ghosttown“[5]? – Das Sabot als Freiraum

„Prototyp […] des städtischen Freiraums ist der Park“, schreibt Constanze A. Petrow im „Handbuch Stadtsoziologie“ (Petrow 2012, 805). Markus, Vorsitzender des Kulturvereins Sabot e.V. sagt, beim Thema Sabot ginge es darum, „abseits von allem was da draußen irgendwie ist, einen Freiraum zu haben“(Interview Markus 2020). Die Vorstellung der Stadtsoziologie von städtischem Freiraum als begrünte Außenfläche innerhalb der Stadt und die Vorstellung, dass das Kellergewölbe des Sabot ebenfalls ein Freiraum sei, scheinen auf den ersten Blick nicht recht zueinander zu passen. Doch wenn man den stadtsoziologischen Begriff des Freiraums nicht strikt auf Außenanlagen bezieht, zeigen sich Parallelen. So wird Freiraum auch in der Stadtsoziologie als „der Sphäre der Freizeit und des nicht zwingend Notwendigen angehörend“ beschrieben. Es sei „ein Ort des wenig Reglementierten […]. Er bedeutet Freiheit statt Zwang, Option statt Verpflichtung, Entspannung statt (geistiger) Anstrengung“ (Petrow 2012, 808). Auch in Bezug auf szenespezifische Elemente lässt sich die stadtsoziologische Definition auf das Sabot übertragen: „Für Subkulturen und gesellschaftlich marginalisierte Gruppen stellen städtische Freiräume […] wichtige Lebens- und Sozialräume dar und ermöglichen Verhaltensweisen, die an anderen Orten der Stadt nicht toleriert werden“ (Petrow 2012, 808).
Der Freiraum, der mit der Kulturkneipe Sabot geschaffen wurde, war dementsprechend vor allem ein Angebot zur Raumnutzung, die spezifisch „subkulturell, politisch und selbstverwaltet“ gestaltet wurde (Interview Markus 2020). Neben den Vereinsmitgliedern, die in erster Linie Konzerte, Vorträge und Kneipenabende veranstalteten, standen die Räumlichkeiten verschiedenen Gruppen und Aktivitäten offen:
„Und da waren Leute, die gesagt haben: ‚Wir wollen einen Raum haben, wo wir irgendwie einmal die Woche boxen können‘. Da waren Leute, die gesagt haben: ‚Wir wollen einen Raum, wo wir halt uns mit unserer Polit-Gruppe treffen können‘. Da waren Leute dabei, die gesagt haben: ‚Boah, manchmal wär’s total geil, nicht auf der Straße sein Fahrrad reparieren zu müssen‘. Also es war wirklich so die komplette Bandbreite“ (Interview Markus 2020).
Diese Idee von Freiraum geht zunächst von der Freiheit, etwas zu tun, aus. Allerdings ist im Sabot damit auch die Freiheit von etwas gemeint, nämlich die Freiheit von Diskriminierung. Das ist auch ein grundlegendes Prinzip der linksalternativen Szene. Auf der vereinseigenen Website wird spezifiziert:
„Der Verein setzt sich aus Menschen zusammen, welche […] einen antifaschistischen, antisexistischen und antihomophoben Grundkonsens teilen. Er hat keine parteipolitischen Ziele und ist unabhängig von politischen, wirtschaftlichen, religiösen u.a. Gruppen und Einzelinteressen“ (Kulturverein Sabot e.V. 2021a).
In diesem Sinne ist der Freiraum also nicht befreit von sozialen Regeln. Diese sind zwar nicht eindeutig definiert, basieren aber auf dem im Zitat genannten Grundkonsens. Im Einzelfall (Stichwort: „schwarzer Humor“) werden diese Regeln immer wieder neu verhandelt und zur Auslegungssache der Verantwortlichen (an der Bar, der Tür, der Technik). Bei diskriminierenden Kommentaren oder Witzen galt der „Mindeststandard, dass mit solchen Leuten da drüber gesprochen wird […] und wenn sie es weiter machen, dass das dann nicht unbedingt zur weiteren Gestaltung des Abends beiträgt für die Menschen“ (Interview Markus 2020). Zusammenfassend und frei nach Immanuel Kant lässt sich sagen: Der Freiraum des einen endet im Sabot dort, wo der Freiraum des anderen beginnt.

„Pogo, Pogo, macht kaputt was vorher unbeschädigt war“?[6] – Der Pogo und die Rücksicht

Aktuell findet in der deutschen Punkszene zumindest partiell eine feministische Auseinandersetzung mit der szeneinternen Rolle von FLINT:-Personen statt.[7] Dabei spielen auch die von Frauen gemachten Erfahrungen auf Konzerten eine Rolle. Bei Punkkonzerten werden häufig ruppige, konfrontative Tänze wie der Pogo getanzt. Dabei ist das spielerische, gegenseitige Anrempeln die zentrale Bewegungsart. Frauen erleben mitunter, dass „das Verhalten von vielen Männern sehr offensiv und aufdringlich ist“, berichtet Kaya (Interview Kaya & Jannes 2020). Kaya gehört mit 20 Jahren zur jüngeren Generation des Sabot. Die in der aktuellen Diskussion angesprochenen Probleme hat sie selbst schon erlebt. Wenn sie gerne mittanzen würde, tauchen manchmal Männer auf, „die [sich] mit ihren 200 Kilo in die Masse stürzen“. „Wenn man nicht ganz so schwer und ganz so groß ist“, verderbe ein solches Verhalten schnell den Spaß am Tanzen oder gar am ganzen Konzert (Interview Kaya & Jannes 2020). Im Sabot jedoch hat sie positive Erfahrungen gesammelt. Dort sei ein „größerer Respekt“ spürbar gewesen, man „achtet ein bisschen mehr aufeinander“. Üblicherweise „stürzen“ sich die Konzertbesucher „nicht ganz so sehr in den Vordergrund“. Zwar sei sie sicher, dass es Situationen gegeben habe, in denen „über die Stränge“ geschlagen wurde. Sie selbst hat das aber als regelmäßiger Gast und aktiv Mitwirkende nie erlebt. (Interview Kaya & Jannes 2020). Jannes ergänzt, dass unangebrachtes Verhalten nicht unkommentiert geblieben sei: „Und wenn [jemand negativ auffiel], dann wurde das offen gesagt: Hey, du bist gerade sau ignorant!“ Der Angesprochene hätte sich dann üblicherweise zurückgehalten, insgesamt sei „ein Konsens entstanden […]. Hey, einfach mal ein bisschen aufpassen“ (Interview Kaya & Jannes 2020).
Das Verständnis von Freiraum als Freiheit von diskriminierendem oder toxischem Verhalten im Sabot scheint vom Publikum angenommen worden zu sein. Die meisten Besucher des Sabot oder ähnlicher Orte scheinen den dahinterstehenden weltanschaulichen Konsens zu kennen, zu teilen und damit zum Erhalt dieser Freiraumnische beizutragen. Doch wie steht es um die aktiven beziehungsweise aktionistischen Elemente des Freiraums? Welche Strukturen liegen den Kulturpraktiken der Sabotmitglieder und -besucher zugrunde? Hier rückt der letzte der eingangs erwähnten drei Begriffe in den Mittelpunkt: DIY.

„Grüne Haare auf’m Kopp“?[8] – Die Praxis des DIY im Kontext von Punk und Sabot

Do it Yourself – ein Motto, das man in vielfacher Ausführung in den verschiedensten Zusammenhängen findet. In diesem Beitrag bezieht sich der Begriff konkret auf die Kulturpraxis DIY, die mit bestimmten Werten und Vorstellungen verknüpft ist. Wer selbst zum lokalen Baumarkt fährt und das gekaufte Material im eigenen Hinterhof in einen Flammkuchenofen verwandelt, der betreibt prinzipiell auch DIY. Das Bauen eines Flammkuchenofens ist aber üblicherweise eher mit dem Wunsch nach Flammkuchen verbunden, als mit dem Wunsch nach der Unabhängigkeit von kapitalistischen Strukturen, fremdbestimmten Handlungen und diskriminierenden Umgebungen. DIY meint also hier nicht die heimwerkerische Tätigkeit, sondern einen Teil einer Bewegung mit historischen Wurzeln im Punk. Innerhalb der DIY-Kultur ist die namensgebende Praxisform von entscheidender Bedeutung, „deren Besonderheit sich darin zeigt, dass die klassischen Grenzen zwischen materieller Kulturproduktion und -konsumption überwunden werden“ (Daniel 2018, 206).
Konkret bedeutet das: In diesen Einrichtungen werden Workshops, Kneipenabende, Konzerte, Lesungen, Vorträge und vieles mehr nicht nur besucht, sondern auch aktiv mitgestaltet. Besucher haben nicht nur die Möglichkeit, Veranstaltungen mitzuerleben, sondern auch zu organisieren. Du würdest gerne eine bestimmte Band sehen, die gerade auf Tour ist? Hier ist eine Örtlichkeit, in der du ein Konzert veranstalten kannst! Du suchst nach Räumlichkeiten, in denen du dein Fahrrad reparieren kannst? Organisiere mit anderen zusammen einen Fahrradworkshop, wer Ahnung oder Werkzeug hat, kommt vorbei und teilt! Du suchst einen Ort, an dem du mit deiner Theatergruppe üben kannst? Hier gibt es eine kleine Bühne, auf der ihr proben könnt! Die Aktions- und Veranstaltungsformen gestalten sich somit vielfältig und richten sich nach den Bedürfnissen der Nutzer:innen.
Auch die wissenschaftlichen Perspektiven auf die Praktiken des DIY erweisen sich als divers. So beschreibt Craig O’Hara die DIY-Kultur als der Punkkultur untergeordnete „Geschäftspraxis“ (O’Hara 2001, 149) und fokussiert auf die wirtschaftlichen Differenzen zwischen DIY-Labels und großen Musikfirmen. Kevin C. Dunn spricht vom „DIY Ethos“ (Dunn 2016, 12) als Kernelement des Punk. Dabei stünde die Rebellion gegen die in den 1970ern kommerzialisierte und „brav“ gewordene Rockmusik im Vordergrund. Die DIY-Kultur ausschließlich als ideologische Grundlage von Punk zu deuten, greift Anna Daniel zu kurz: 

„Obgleich gewisse Werte in der DIY-Szene von zentraler Bedeutung sind, manifestiert sich das subversive Moment dieser Praxisform gerade erst in der Art und Weise des Machens, also in der Praxis selbst, und ist somit schwerlich auf eine bestimmte Ethik zu reduzieren“ (Daniel 2018, 222). 

DIY als werthaltige, jedoch in ihrer grundlegenden Ethik diverse Praxisform bietet einen geeigneten Ansatz zum Verständnis der im Sabot gelebten Form von DIY. Was sich im Sabot abspielt, hat nicht zwingend mit dem klassischen Verständnis von Punk zu tun, teilt aber ähnliche Werte. Ein solcher Konsens lässt sich besser unter dem Begriff des DIY zusammenfassen, der hier entsprechend eigenständig und nicht als Unterkategorie von Punk verwendet wird.
Diese Schwerpunktsetzung lässt sich an der Ästhetik der auftretenden Musikgruppen ablesen. Unter den Musikempfehlungen für diesen Text finden sich Bands, deren Ästhetik und Wertvorstellungen dem klassischen Deutschpunk folgen, wie beispielsweise die Band Toxoplasma, aber auch Hip-Hop-Gruppen wie Moscow Death Brigade (MDB), die in ihrem künstlerischen Ausdruck losgelöst von klassischer Punk Ästhetik auftreten. Statt Irokesenfrisuren, Nietenarmbändern und mit Aufnähern versehener Jeansjacken[9] gibt es bei MDB „ski masks and track suits“ (MDB: Brother & Sisterhood. Single 2017). Die Werteverbundenheit zum Punk lässt sich wiederum an den Texten ablesen: „you know we’re the angry youth“ (MDB). Als verbindendes Element dieser Szene eignet sich, zumindest aus wissenschaftlicher Sicht, DIY besser als Punk. 

Abb. 2: Szenetypische Sicker vor der Kulturkneipe Sabot (Foto: Johannes Held)

„Es ist wiedermal ein Rock’n’Roll Freitag“![10] – Ein DIY-Punkkonzert im Sabot

Wie der Punk im DIY-Gewand sich im Sabot darstellt, erzählt Jannes im Interview: Am 05.11.2019 traten Messed Up in der Kulturkneipe auf. Die ausschließlich aus Musikerinnen bestehende Punkband stammt aus Belarus. Vor Konzertbeginn fand eine offene Diskussionsrunde über die prekäre Situation der Band in ihrem Heimatland statt (vgl. dazu: Pham 2019). Der Eintritt an diesem Abend erfolgte auf Spendenbasis, das Booking lief über den direkten Kontakt zur Band, die ihr Tourmanagement selbst gestaltet. Allein diese Umstände verweisen auf den DIY-Charakter des Abends: Die Diskussionsrunde stellt die Forderung nach aktiver Partizipation statt reinem Zuhören an die Gäste und betont im Widerstand gegen zumindest als unterdrückend empfundene Strukturen ein verbindendes Element. Der nicht genau festgelegte Eintrittspreis ist Ausdruck der alternativen Geschäftspraxis des DIY, der direkte Kontakt zur Band ohne Mittelsperson ist beispielhaft für die szeneinternen, persönlichen Netzwerke, die offizielle geschäftliche Strukturen ersetzen.
Der Höhepunkt des Abends, das eigentliche Konzert, gestaltete sich als intensives Erlebnis. Zwar „waren da nicht so viele Leute drinnen, vielleicht zehn“ und alles ging schon „relativ früh für Sabotzeiten, […] schon um 7“ (ebd.) mit dem Auftritt los – aber wenigstens macht man auf der Bühne „richtig Krach“: „Die Sängerin, […] geht auch gerne ins Publikum rein und brüllt dich dann Face-to-Face an!“ (Interview Jannes 2020). Auch das Publikum habe sich begeistert gezeigt, es gab „genügend Leute, um zu pogen“. Alles in allem war es für Jannes ein „ziemlich krasser Abend“, der ursprünglich auch in ähnlicher Form wiederholt werden sollte. Durch die Begeisterung, die Messed Up bei Jannes ausgelöst hatten („Das ist mittlerweile wirklich eine meiner Lieblingsbands geworden“ (Interview Jannes 2020), kam der Wunsch auf, ein weiteres Konzert zu veranstalten. Da Jannes zusammen mit Sabotkollegin Kaya auch beim Youth Culture Festival in Wiesbaden engagiert ist, planten beide, dort einen Auftritt der Band zu organisieren. Beim Konzert im Sabot war, typisch für DIY-Konzerte (vgl. Daniel 2018, 208f.), die Trennlinie zwischen Künstler:in und Publikum aufgelöst worden. Die Band blieb nach dem Auftritt noch in der Kneipe: „Die standen danach da, mit denen kannst du quatschen, einfach eine nahe Band“ (Interview Jannes 2020). So kam der persönliche Kontakt zustande und ein Auftritt auf dem Youth Culture Festival wäre möglich gewesen. Durch die Coronapandemie musste das Festival allerdings vollständig abgesagt werden.

„Obdachlos & trotzdem sexy?“[11] – Das Sabot heute

Im März 2020 musste das Sabot seine Pforten schließen. Grund war eine geplante Mieterhöhung, die der Verein nicht mehr finanzieren konnte. Was damals die Vereinsmitglieder und Gäste noch traurig stimmte, kann rückblickend als Glück im Unglück gesehen werden. Denn die bis heute andauernde Corona-Krise hätte jeglichen Kneipen- und Veranstaltungsbetrieb verhindert. So musste der Verein die Kosten, die während der Krise angefallen wären, nicht tragen. Man wartet nun das Ende der Corona-Maßnahmen ab. Nach einer Rückkehr zur Normalität will sich der Kulturverein Sabot e.V. nach neuen Räumlichkeiten umsehen – am besten wieder im Westend. Die Suche wird den Verein aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch vor eine große Herausforderung stellen. In Wiesbaden steigen die Mieten kontinuierlich und der Raum für kleine kulturelle Projekte ist rar. Aktuell lassen sich auch das Ende und die Konsequenzen der Coronakrise, speziell für den kulturellen Bereich, nicht absehen. Als finanzielle Überbrückungshilfe hat der Kulturverein Sabot e.V. Ende 2020 den Verkauf von Merchandise im eigenen Webshop gestartet (Kulturverein Sabot e.V. 2021).
Es bleibt also nur abzuwarten, dass sich nach dem Ende der Pandemie eine neue Nische auftut, in der sich das Sabot einnisten kann. Der so entstehende Freiraum würde nach langer Durststrecke wieder Platz schaffen für Konzerte und Lesungen, zum Kennenlernen und Austauschen, für Boxclubs und Fahrradbastler:innen. Und vielleicht auch für alteingesessene Westendbewohner:innen, die vorher noch nicht in diese spezielle Nische spähen konnten.

[1] Dieses und alle folgenden Zitate in diesem Textabschnitt stammen, sofern nicht anders angegeben, aus einem Interview mit dem Sabot-Gründer Markus Pabst (Interview Markus 2020).

[2] Vgl. https://www.juz-mannheim.de; www.oetingervilla.de; www.gegendruck.de [20.01.2021].

[3] Die einleitenden Songzitate zu jedem Textabschnitt sind mit einem Augenzwinkern zu lesen und subjektiv aus dem Repertoire von Bands mit Verbindung zur DIY- oder Punkszene ausgewählt. Hier: Kotzreiz: Die Stadt gehört den Ratten (2015).

[4] Inepsy: Street City Kids. Auf: Rock’n’Roll Babylon (2003).

[5] The Specials: Ghost Town. Single (1981).

[6] Fasaga: Pogo in der Straßenbahn. Auf: Die Deutschen Kommen (1982).

[7] FLINT: steht für Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nicht-Binäre und Transsexuelle. Als ein sprechendes Beispiel für diese szeneinterne Auseinandersetzung kann auf einen Facebook-Post vom 08.03.2021 von Ronja Schwikowski, Geschäftsführerin des Fanzine „Plastic Bomb“, auf der dazugehörigen Facebook-Seite verwiesen werden (https://www.facebook.com/plasticbomb/ posts/2845797242329716; 27.04.2021).

[8] Knochenfabrik: Grüne Haare. Auf: Ameisenstaat (1997).

[9] An dieser Stelle wird bewusst ein ästhetisches Klischee aufgegriffen. Mode ist im Punk ein eher untergeordnetes Thema. Das benannte Klischee kommt sicher nicht von ungefähr (vgl. Bilder der Sex Pistols, von The Casualties oder The Exploited), ist allerdings eher im Kontext der britischen Hardcorepunkszene ab 1980 zu verorten und durch geframte Medienberichterstattung verbreitet worden (vgl. O’Hara 2001, 43–58).

[10] Hans-A-Plast: Rock’n’Roll Freitag. Auf: Hans-A-Plast (1979).

[11]  Knochenfabrik: Obdachlos & trotzdem sexy. Auf: Cooler Parkplatz (1998).

 

Literatur

Calmbach, Mark (2007). More than Music. Einblicke in die Jugendkultur Hardcore.

Bielefeld: transcript Verlag.

Daniel, Anna (2018). Die Do-It-Yourself-Kultur im Punk. Subkultur, Countercuture oder alternative Ökonomie? In: Busche, Hubertus; Heinze, Thomas; Hillebrandt, Frank & Schäfer, Franka (Hg.). Kultur. Interdisziplinäre Zugänge (203–228). Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Dunn, Kevin (2016): Global Punk. Resistance and Rebellion in Everyday Life. New York: Bloomsbury Academic.

Hengartner, Thomas (1999). Forschungsfeld Stadt. Zur Geschichte der volkskundlichen Erforschung städtischer Lebensformen. Berlin: Reimer.

Lefebvre, Henri (1974). La production de l’espace. Paris: Éd. Anthropos.

Lindner, Rolf (2005). Urban Anthropology. Soziale Welt, 16, 55–66.

Moran, Ian (2010). Punks. The do-it-yourself subculture. Social Science Journal, 10, 58–65.

O’Hara, Craig (2002). The Philosophy of Punk. Die Geschichte einer Kulturrevolte. Mainz: Ventil-Verlag.

Petrow, Constanze A. (2012): Städtischer Freiraum. In: Eckardt, Frank (Hrsg.). Handbuch Stadtsoziologie (805–837). Wiesbaden: VS.

Pham, Du (2019). Nicht einverstanden. taz. https://taz.de/Weissrussische-PunkbandMessed-Up/!5635737/ [28.04.2021].

Kulturverein Sabot e.V. (2021a). Über die Kulturkneipe. https://kulturkneipe-sabot.de/ [28.04.2021].

Kulturverein Sabot e.V. (2021b). Web-Shop. https://shop.kulturkneipe-sabot.de/ [20.01.2021]

Roth, Jonathan (2021). Urbane Nischen. Kulturanalytische Perspektiven auf den Hinterhof. In: Roth, Jonathan & von der Assen, Aline (Hg.). Urbane Nischen. Ethnographische Erkundungen in den Hinterhöfen des Wiesbadener Westends.

Quellen

Interview Jannes (2020). Interview mit Jannes, geführt am 30.09.2020 von Johannes Held in Wiesbaden. Interview Kaya & Jannes (2020). Interview mit Kaya und Jannes, geführt am 21.07.2020 von Johannes Held in Wiesbaden. Interview Markus (2020). Interview mit Markus, geführt am 24.09.2020 von Johannes Held in Wiesbaden.

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