Westend-Dialoge: Das Pfingstwochenende zwischen Sedanplatz und Zietenring
Westend-Dialoge: Das Pfingstwochenende zwischen Sedanplatz und Zietenring
Für die experimentelle Phase meiner Vorfeldstudien wählte ich die Übung Stimmensammeln aus. Dabei notiert man sich Teile aus Gesprächen, die man während des Aufenthaltes in einem ausgewählten Bereich (z.B. in der Roonstraße)mitbekommt. Anschließend fügt man diese in einem Handlungsstrang zusammen, welcher durch fiktive Textelemente (hier der blaue Text) ergänzt wird.
Das Sammeln der Dialogsegmente stellt sich als schwieriger heraus als gedacht. Es ist ein verlängertes Wochenende, an dem viele die Stadt verlassen zu haben scheinen. Jedenfalls kann ich keine Gespräche in Hinterhöfen oder von Balkonen mithören, wie es bei den bisherigen Aufenthalten im Westend der Fall war. Lediglich das Klappern von Geschirr dringt um die Mittagszeit zu mir durch. Der Verkehrslärm und das Rauschen der Blätter im Wind scheinen mir heute auch besonders laut zu sein. Vielleicht kommt es mir aber auch nur so vor, weil ich mich auf das Hören konzentriere. Die Stimme des Westends zwischen Sedanplatz und Zietenring, Emser- und Westendstraße am Pfingstwochenende 2020 klingt jedenfalls so:
An einer Kreuzung im äußeren Westend–dies könnte zum Beispiel die Stelle sein, an der die Roon-auf die Bülowstraße trifft –ist am Pfingstsamstag 2020 ganz schön was los. Menschen verschiedenen Alters und unterschiedlicher sozialer Herkunft treffen aufeinander und bleiben sich dennoch fern. Sie unterhalten sich untereinander und übereinander, jedochnicht immer miteinander. Welche Themen die jeweiligen Gruppen an diesem sonnigen Samstagmittag beschäftigen, schauen wir uns nun genauer an.
Die Familie: Kind Ia: „Guck mal, Mama, der ist so schnell.“ Mutter I: „Ja, ich seh‘s. Sehr sehr gut.“ Vater I: „Wow, was war das denn für’n Trick?“ Kind Ia: „Hahaha.“ Mutter II: „Ist auch schon ein bisschen klein das Auto , aber schon seit einem Jahr.“ Mutter I: „Theo, hier. Julia sitzt vorne und ich versuche mich irgendwie hinter euch zu setzen. Ist ja nur ne kurze Strecke.“ Kind Ib: „Ich sitz‘ im Kofferraum.“ Mutter II: „Komm Jonas, wir steigen jetzt ins Auto. Gib den Roller dem Papa. Weißt du, wo wir jetzt hinfahren?“ Kind II: Möchte den Roller nicht hergeben. Vater II: „Dann bleibt der Leonard eben zuhause. Mama und Papa fahren jetzt nach Stuttgart. Wenn du im Kindersitz sitzt, kannst du deinen Roller nicht festhalten. Alles verstanden soweit? Gut.“ Kind II: Möchte den Roller immer noch nicht hergeben. Vater II: „Wir fahren jetzt nach Stuttgart. Dann kannst du jetzt zu deinem Onkel oder zu deiner Oma gehen.“
Die ältere Dame von nebenan: „Ach, wenn die da mit dem Bohren anfangen, der Staub…. Die Vögel sind mir wichtiger wie die Blumen. Das dürfen senicht vergessen. Aber es sollte hier vorm Haus schon alles ordentlich aussehen.“
Die telefonierende Passantin:
Passantin: „Aber warum rufst du denn an?“
Person am Telefon: „Ich habe unsere Freunde morgen Abend zum Grillen eingeladen und gehe jetzt einkaufen. Was brauchen wir denn alles? Ich habe Pilze aufgeschrieben und Paprika und Grillkäse.“
Passantin: „Ich glaub‘, das brauchen wir. Bring aber auch noch anderes Gemüse und Würstchen mit.“
Person am Telefon: „Soll ich auch noch Ketchup oder irgendeine Sauce mitbringen?“
Passantin: „Bitte?“
Person am Telefon: „Ob ich auch noch Ketchup oder irgendeine Sauce mitbringen soll.“
Passantin: „Nein! Du hast letztes Mal schon so viel davon gekauft, wir haben noch mindestens zwei Flaschen Ketchup und fünf verschiedene Saucen zuhause. Wir brauchen auch noch Taschentücher.“
Die besten Freunde:
Person I: „Das wäre doch mal mega geil, wenn hier mal jeder so einen Flohmarkt machen würde, weißte.“
Person II: „Schon. Ist auch voll schönes Wetter. Ohne Witz. Ist doch geil mit dem Wind, oder?“
Person I: „Ja. Ich hab‘ mir gestern ein neues Handy bestellt bei eBay. Ein Huawei P10. Kommt hoffentlich bald an.“
Person II: „Mega, Mann! Soll voll die gute Kamera haben. Ich will, glaube ich, auch ein neues. Meins ist halt auch schon ein paar Jahre alt. Da ist zwar noch kein Kratzer dran oder sowas, aber ich will ja schon auch die neuen Features haben und so. Im November läuft mein Servicevertrag aus. Dann lohnt sich das ja auch so richtig.“
Person I: „Ja, dann warte lieber noch ein bisschen. Sag mal, die, mit der du letztens geschrieben hast, die war doch jünger, 30 Jahre, oder?“
Person II: „Nee, älter. 60er. Sah aber echt jünger aus. Lass mal heute Abend zu Markus gehen. Er hat mir gerade geschrieben und fragt, was wir heute vorhaben. Will wohl mal wieder ein Bierchen mit uns trinken.“
Person I: „Klar. Aber anstreben vor null Uhr zuhause zu sein. Meine Schwiegereltern kommen morgen zum Mittagessen und ich muss noch aufräumen und so. Sonst ist wieder den ganzen Tag nur Stress.“
Anwohner auf dem Balkon:
Person I: „Очень плохочто случилось с матерью. (Das ist total blöd, wie das mit der Mutter gelaufen ist.)“
Person II: „Ты говоришь. (Du sagst es.)“
Person III: „Посмотрим что будет. Но мы должны идти сейчас. (Man muss dann eben weitersehen. Wir müssen jetzt aber langsam los.)“
Person I: „Пока что…на идем. (Für’s Erste… lass uns gehen.)“
Person II: „Ciao. Спасибо за приглашение. (Ciao. Danke für die Einladung.)“
Person III: „Ciao. Не за что.</span (Ciao. Gerne.)“
Person I: „Ciao.“
Die Jugend:
Person I: „Alter ich schwör. Voll blöd, dass Kenan nicht kann.“
Person II: „Kann man halt nichts machen, die Eltern erlauben halt gar nichts.“
Person I: „Stell dir mal vor, die lassen den nur noch zur Schule. Voll das Gefängnis, Alter!“
Person II: „Hör auf mich zu schlagen oder du kriegst eine gratis!“
Die Postbotin, die zwar nicht im Viertel wohnt, aber dennoch jeden beim Namen kennt:
Klingeln – „Die Post! Dankeschön!“
Klingeln – „Die Post! Dankeschön!“
Klingeln – „Die Post! Dankeschön!“
[…]
Die Neuankömmlinge:
Person I: „Schau mal, so viele Altbauten. Voll schön. Wo müssen wir denn hin?“ Person II: „Wir können hier runter gehen, glaube ich. Da kommt jemand aus dem Haus. Lass uns die mal fragen, wo wir lang müssen.“ Person I: „Entschuldigung, wissen Sie, ob wir hier richtig sind? Wir wollen in die Bülowstraße 3, ins Hinterhaus.“ Person III: „Sorry, ich wohne nicht hier. Aber für’s Hinterhaus müssen Sie durch den Hof.“
Dieser Beitrag gehört zur Station Fotoralley der Phase 1. Nähere Informationen findet Ihr hier.